31. Mai 2018

Riesige Flugsaurier konnten fliegen, taten dies aber eher selten



Mark Witton, Experte für Flugsaurier, bemängelt, dass die Flugfähigkeit der riesigen Pterosaurier immer wieder in Frage gestellt wird − vor allem in den sozialen Netzwerken und der Presse − und findet es äußerst frustrierend. Unter den Forschern, die sich mit diesen Tieren intensiv auseinandergesetzt haben, wird die Flugfähigkeit von keiner Seite in Frage gestellt, so Witton − im Gegensatz zur Presse, die die Zweifel an der Flugfähigkeit immer wieder heraufbeschwört.

Zudem werden die Forscher häufig gerade von denjenigen heftigs attackiert, die sich mit Flugzeugen auskennen und meinen, sie wüssten es besser als die Wissenschaftler. Dabei, so Witton, sollte doch klar sein, dass ein oberflächliches Wissen über technische Flugmaschinen längst nicht befähigt, sich mit allem auszukennen, was jemals geflogen ist.

Witton versucht nun also, eine detaillierte Erklärung zu geben, warum selbst die riesigen Pterosaurier fliegen konnten und kein Forscher das in Frage stellt, damit diese Diskussion endlich beendet wird. Dabei bezieht er sich in erster Linie auf die Gruppe der Azhdarchidae, zu denen die Riesen unter den Flugsauriern gehörten wie Quetzalcoatlus (11 bis 13 Meter Flügelspannweite) und Hatzegopteryx (wahrscheinlich 12 Meter Flügelspannweite), obwohl seine Ausführungen auch auf alle anderen großen Flugsaurier übertragbar sind.

Die Fossilien dieser riesigen Flugsaurier sind in der Regel sehr bruchstückhaft, bestehen oft nur aus Fragmenten einzelner Knochenstücke oder im Falle des Quetzalcoatlus aus den unvollständigen Überresten des linken Flügels. Normalerweise stellt dieser Mangel an vollständigen Fossilien ein Problem für haltbare Interpretationen dar, doch im Falle fliegender Organismen reichen schon wenige Knochenfragmente aus, um auf eine Flugfähigkeit schließen zu lassen. Vergleiche mit kleineren Pterosaueriern, deren Flugfähigkeit keine Zweifel aufkommen lassen, ergaben, dass die Proportionen der Knochen bei den Riesen dieselben waren wie bei den "Zwergen" und die Gelenke die gleiche Beweglichkeit aufwiesen. Auch Reste des Oberarmknochens, die einen Kamm andeuten, an denen starke Flugmuskeln ansetzen, sprechen eindeutig für eine Flugfähigkeit. (Am fossilen Oberarm des Hatzegopteryx fand sich nur ein relativ kleiner Knochenkamm, doch ist dies der Tatsache geschuldet, dass er nicht gut erhalten blieb und Bruchstücke des Knochenkamms fehlen.)

Im Gegensatz zu kleineren Flugsauriern besaßen die Riesen allerdings dickere Knochen, die robuster waren und der erhöhten Spannung beim Fliegen mit größeren Hautsegeln widerstehen konnten. Im Durchschnitt entsprach die Dicke des Oberarmknochens den Beinknochen riesiger Säuger, doch brachten sie aufgrund der für Flugsaurier typischen dünnen Knochenwände nur ein Bruchteil des Gewichts von Säugetierknochen auf die Waage. (Ein Hatzegopteryx-Flügel z.B. hat eine Knochenwanddicke von 4 bis 7 Millimeter - und das ist für einen Flugsaurier schon ein recht üppiger Wert. Die Knochenwände anderer Pterosaurierriesen liegen bei etwa 2 Millimeter - ähnlich dick wie die bei kleineren Flugsaurierarten.)

Natürlich darf man sich den Flug eines riesigen Flugsauriers nicht so vorstellen, wie man ihn von kleinen Vögeln kennt, sondern muss zum Vergleich den Flug der großen Vögel heranziehen, wie etwa dem der Schwäne, Gänse oder Albatrosse, auch wenn die Flugweise eine ganz andere war. Allerdings kann man auch bei den großen Pterosauriern davon ausgehen, dass sie - wie die großen Vögel - enorm viel Energie aufbringen mussten, um überhaupt abzuheben. Dieser Umstand und die Tatsache, dass diverse Fährten der Azhdarchidae gefunden wurden, lässt darauf schließen, dass sie recht viel Zeit am Boden verbrachten. Wahrscheinlich erhoben sie sich nur dann in die Lüfte, wenn sie vor Feinden fliehen mussten.

Berechnungen der beim Abflug benötigten Kraft ergaben, dass die riesigen Azhdarchidae vermutlich nur 90 Sekunden lang ihre Flügel flatterartig bewegen konnten, und dann erst wieder eine Pause benötigten, um sich zu erholen. Dies bedeutet aber nicht, so Witton, dass sie nur kurze Distanzen überwinden konnten. Innerhalb dieser 90 Sekunden flogen Azhdarchidae zum einen große Distanzen mit einer Geschwindigkeit von mehr als 90 km/h und hatten zum anderen reichlich Zeit, thermische Zonen zu finden, die ihnen einen Gleitflug ermöglichten.

In den Jahren 2009 und 2010 wurden Studien veröffentlicht, die tatsächlich die Flugfähigkeit der riesigen Pterosaurier in Frage stellten, doch gingen die Autoren von falschen Annahmen aus. In der einen Studie wurde der Flugsaurierflug mit dem Vogelflug gleichgesetzt, was bei den Riesen erhebliche Problemen nach sich gezogen hätte. In der anderen Studie wurde die Gesamtmasse des Quetzalcoatlus weit überschätzt, was zur Flugunfähigkeit hätte führen müssen. Nach Berichtigung der Daten aufgrund neuer Erkenntnisse, konnten aber beide Studien widerlegt werden.

Ausschlaggebend für die Flugfähigkeit ist der Start auf allen Vieren. Anders als Vögel, die sich von einem zweibeinigen Stand in die Luft erheben, starteten vermutlich sämtliche Flugsaurier von einem vierbeinigen Stand aus. Diese Theorie lässt sich anhand des Skeletts begründen:

Schaut man Vögeln beim Starten zu, bemerkt man, dass nicht der Flügelschlag an sich den Einsatz zum Abheben gibt, sondern ein kräftiger Sprung in die Luft, der dann in den Flügelschlag übergeht. Aus diesem Grund haben Vögel starke und robuste Beinknochen und vergleichbare leichte und dünne Armknochen. Bei Pterosauriern ist es jedoch umgekehrt: Bei ihnen sind die Armknochen wesentlich stärker und größer ausgeprägt als die Hinterbeinknochen.

Zudem besitzen Vögel an zwei Stellen starke Muskelstränge: An der Schulter die Flugmuskeln und an der Hüfte die Sprungmuskeln. Flugsaurier besaßen nur einen starken Muskelstrang und zwar an der Schulter. Auch dies weist deutlich auf die besondere Bedeutung der Vordergliedmaße für den Abflug hin.

Darüberhinaus sprechen auch die gefundenen Pterosaurierfährten für einen vierbeinigen Abflug: Während Vögel auf zwei Beinen laufen und starten, laufen und starten Fledermäuse auf allen Vieren. Von Pterosauriern wurden Trittsiegel von allen vier Gliedmaßen gefunden. Also liegt die Vermutung nahe, dass sie, da sie auf vier Beinen liefen, auch auf vier Beinen den Abflug machten. (Auf einem Video wird der vierbeinige Flugstart der Pterosaurier virtuell nachvollziehbar dargestellt: "Quadrupedal Launch in Pterosaurs Animation")

Witton betont, dass trotz dieser detaillierten Ausführungen, viele Informationen über Pterosaurier noch im Dunkeln liegen. Er schließt auch nicht aus, dass eines Tages vielleicht tatsächlich ein flugunfähiger Flugsaurier gefunden werden könnte, doch würden die bisherigen Erkenntnisse für eine Flugfähigkeit sämtlicher bislang gefundener Flugsaurier sprechen − auch der absoluten Riesen unter den Pterosauriern.


Ein weiteres Indiz für die Flugfähigkeit der riesigen Flugsaurier stellen die Größe der Flügel und die im Vergleich zu den starken Vorderbeinen bescheidenen Hinterbeinen dar: Sollten die großen Pterosaurier ihre Flugfähigkeit verloren und nur noch an Land gelebt haben, hätten sich vermutlich die starke Schultermuskulatur abgebaut, die Beinmuskulatur stärker entwickelt und die Größe des Beckens zugenommen.

Die Studie zur Hinterbeinhaltung der Pterosaurier vom 22.05.2018 (vgl. Nachricht) sieht Witton etwas skeptisch: ein anatomischer Vergleich ziwschen Pterosrauriern und Wachteln sei nicht ganz unproblematisch − Becken und Oberschenkelknochen wären bei beiden Spezies zu unterschiedlich, ebenfalls die Muskelverteilung. In der Studie sei aber nur sehr oberflächlich auf diese Verschiedenheiten eingegangen worden und es bedürfte einer noch wesentlich gründlicheren Untersuchung − obwohl er auch zugibt, dass der vergleichende Ansatz durchaus interessant sei.

Gelandet sind die Pterosaurier übrigens mit den Füßen zuerst, wie Spuren zeigen. Sie benutzten wahrscheinlich die Flügel, um den Flug auszubremsen und den Körper so lange in der Luft zu halten, bis sie gefahrlos auf dem Boden aufsetzen konnten. Sobald sie auf den Hinterfüßen standen, seien sie nach vorne auf alle Viere gefallen und hätten sich dann quadruped fortbewegt.



weitere Informationen unter:

  • markwitton.com-blog (engl.):
    Why we think giant pterosaurs could fly



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