11. September 2019

Die lange Geschichte der Erforschung der Spuren des Chirotheriums



Im Jahr 1833 entdeckte der Schulleiter Friedrich Sickler im thüringischen Hildburghausen erstmals Fußspuren, deren Hinterfußabdrücke an eine langfingrige Menschenhand mit abstehendem Daumen erinnerten; von den Vorderfüßen waren nur Fingerabdrücke erhalten geblieben. Die Fußspuren wurden auf ein Alter von 252 bis 248 Millionen Jahren geschätzt, stammen also aus der frühen Trias.

Da sich der Schulleiter keinen Reim auf die Fußspuren machen konnte, wandte er sich 1834 in einem offenen Brief an den damals berühmten deutschen Arzt und Naturforscher Johann Friedrich Blumenbach, dem er seine Entdeckung beschrieb. So wurden auch andere Forscher auf diesen Fund aufmerksam und es herrschte eine allgemeine Spekulation darüber, welche Art von Tier diese Spuren verursacht haben könnten. Es wurden Beuteltiere, Riesenaffen, Riesenkröten und Bären genannt.

Schließlich wurden im Jahr 1835 diese "Handspuren" durch den deutschen Naturforscher Johan Kaup wissenschaftlich beschrieben und erhielten den heutigen Namen Chirotherium (übersetzt etwa: "Handraubtier").

Später wurden vergleichbare Spuren an mehreren Stellen in Europa entdeckt: in England (Cheshire), Frankreich und Spanien. Da aber stets nur Fußabdrücke ohne passende Knochenüberreste gefunden wurden, blieben die Spuren weiterhin ein großes Rätsel.

Der bekannte britische Forscher Richard Owen fand schließlich Knochen, die auf ein ähnliches Alter wie die Spuren in Cheshire datiert wurden. Das Tier, von dem diese Knochen stammten und das als Vorläufer heutiger Amphibien gilt, nannte er aufgrund des Zahnaufbaus Labyrinthodon (übersetzt etwa: "Labyrinthzahn"). Owen vermutete, dass dieses Tier Verursacher der Spuren sein könnte. Zusammen mit dem britischen Bildhauer Benjamin Waterhouse Hawkins, der durch die ersten Dinosaurierdarstellungen aus dem Chrystall Palace berühmt wurde, entwickelte er eine riesige krötenähnliche Kreatur.

Owens Forscherkollege Charles Lyell übernahm diese Darstellung, vermutete aber aufgrund der Handabdrücke, dass dieses Tier mit überkreuzten Beinen gelaufen sein müsse, da der Daumen nach außen zeigte, was von diversen anderen Forscher direkt als unplausibel abgelehnt wurde. Eine bessere Erklärung konnten aber auch sie nicht finden.

Erst im Jahr 1925 wurden die Spuren erneut einer Überprüfung unterzogen. Der deutsche Paläontologe Wolfgang Soergel studierte sämtliche gefundene Chirotherium-Abdrücke in deutschen Sammlungen und erkannte, dass der abstehende Zeh nicht der Daumen, sondern der fünfte Zeh war, was mit Abdrücken diverser heutiger Reptilien übereinstimmt. Er rekonstruierte aus den gefundenen Trittsiegeln ein Tier mit mehr unter dem Körper stehenden starken Hinterbeinen und kurzen Vorderbeinen. Ein entsprechendes Tier in der richtigen Größe, hatte man bis dato jedoch noch nicht gefunden, doch zeigte der bereits 1913 beschriebene, in Südafrika entdeckte Archosaurier Euparkeria, der eine Länge von nur knapp 60 Zentimeter aufwies, ähnliche Hinterfüße: fünf Zehen, von denen der fünfte seitlich abstand. Daher vermutete Soergel, dass die Fußspuren in Hildburghausen von einem verwandten Tier stammen müssten.

1938 beschrieb der deutsche Paläontologe Friedrich von Huene die aus Brasilien stammenden Überreste eines knapp sieben Meter langen Krokodilverwandten, den er Prestosuchus nannte und dessen Füße große Ähnlichkeit mit denen des Euparkeria aufwies. Da in Europa jedoch bis dato noch niemals ein solches Tier nachgewiesen worden war, bezweifelten seine Forscherkollegen einen Zusammenhang zwischen dem Krokodilverwandten und den Spuren des Chirotheriums.

1965 beschrieb dann jedoch der französische Paläontologe Bernard Krebs die Überreste eines Krokodilverwandten, die im schweizerischen Tessin gefunden worden waren. Er nannte das Tier Ticinosuchus ("Krokodil aus dem Tessin"). Dieses Tier passte von der Größe, dem Alter und der Fußstellung nahezu perfekt zu den Fußspuren aus Hildburghausen.

2004 wurde dann in Hildburghausen den Chirotherium-Spuren ein Denkmal gesetzt, indem die Spuren mit einer Bronzeplastik eines hochbeinigen Krokodilverwandten in Verbindung gebracht werden (s. Thüringen.info). Allerdings ist man inzwischen davon überzeugt, dass diese Darstellung den Trittsiegelverursachern noch nicht so ganz entspricht.

Ein neuer Fund in den USA, nämlich das nahezu vollständige Skelett eines Arizonasaurus, eines mit einem Segel ähnlich dem eines Dimetrodon ausgestatteten Pseudosuchias, dem diverse Chirotherium-Fußabdrücke in den USA zugeordnet werden und der aus einer ähnlich alten Gesteinsschicht stammt, wie die Trittsiegel in Hildburghausen, deuten darauf hin, dass der schon aus Deutschland stammende, ebenfalls mit einem Rückensegel ausgestattete Ctenosauriscus mit Prestosuchus und Ticinosuchus verwandt war und diese somit ebenso ein mehr oder weniger hohes Rückensegel trugen.

Somit kann die lange Suche nach dem Verursacher der Chirotherium-Trittsiegel nun als beendet erklärt werden: Der Verursacher war mit hoher Wahrscheinlichkeit ein mit einem Rückensegel ausgestatteter, hochbeinig laufender Krokodilverwandter.



weitere Informationen unter:

  • Smithsonian Magazine:
    The Long, Strange Tale of the Hand Beast Footprints



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