29. April 2020

Spinosaurus besaß einen Flossenschwanz und jagte schwimmend seine Beute



Bis zum Jahr 2008 gab es über den Spinosaurus lediglich Aufzeichnungen der Funde, die Ernst Freiherr Stromer von Reichenbach in den Jahren 1910 bis 1914 in Marokko gemacht hatte. Seine Funde deuteten auf einen Dinosaurier hin, der so gar nicht in die üblichen Schemata passte: Er besaß merkwürig lange Dornenfortsätze an den Rückenwirbeln und kegelförmige Zähne, die eher zu einem Fischfresser als zu einem Landräuber passten. Allerdings war die Ausbeute an Fossilien zu gering, um sich ein vollständiges Bild dieses Dinosauriers zu machen.

Da Ernst Freiherr Stromer von Reichenbach seine Fossilien während des 2. Weltkriegs nicht in geschützte Bunker bringen wollte, sondern annahme, dass diese in seinem Museum gut aufgehoben seien, fielen sie im Jahr 1944 einem Bombenangriff zum Opfer. Übrig blieben nur Zeichnungen, Fotos und handschriftliche Notizen, die Ernst Stromer von Reichenbach über seine Funde angefertigt hatte.

So blieb Spinosaurus über Jahrzehnte hin ein merkwürdiges Rätsel.

In der Zwischenzeit wurden allerdings neue Dinosaurier entdeckt, die zum Teil als Verwandte von Spinosaurus eingestuft wurden. Diese gaben Hinweise darauf, dass Spinosaurus tatsächlich ein recht merkwürdiger Dinosauriergeselle gewesen sein könnte: So trug Spinosaurus keinen an einen Megalosaurus erinnernden Schädel mit runder Schnauzer, sondern einen langgestreckten, eher an ein Krokodil erinnernden Schädel mit langgezogener Schnauze; auch lief er weniger kängurugleich auf zwei Beinen aufrecht durch die Gegend wie Ernst Freiherr Stromer von Reichenbach es sich vorgestellt hatte, sondern eher nach vorn gebeugt, wobei der lange Schwanz als Ausgleich diente.

Die Verwandten des Spinosaurus waren lange Zeit die einzigen Anhaltspunkte die man zur Rekonstruktion des Spinosaurus heranziehen konnte, da konkrete Fossilien fehlten.

Durch Zufall erfuhr dann im Jahr 2008 der angehende Paläontologe Nizar Ibrahim, der marokkanisch-deutsche Wurzeln hat und erst zwei Jahre zuvor seinen Bachelor of Science gemacht hatte, dass Bergleute in Marokko Fossilien gefunden hatten, die sich später als Knochenreste von Spinosaurus herausstellten. Weitere Funde aus dieser Gegend wurden nach Italien verkauft. Nizar Ibrahim setzte sich dafür ein, dass sämtliche dieser Fossilien, die aufgespürt werden konnten, zurück nach Marokko gelangten und führte dann im Jahr 2013 selbst Grabungen in dem Gebiet durch. So fanden er und sein Team viele weitere Spinosaurus-Fossilien.

Anhand der neuen Funde und der Aufzeichnungen von Ernst Freiherr Stromer von Reichenbach wurde im Jahr 2014 eine neue Rekonstruktion dieses Dinosauriers versucht, die das bis dahin vorherrschende Bild des Spinosaurus grundlegend veränderte: So besaß Spinosaurus wesentlich kürzere und stämmigere Hinterbeine als bislang vermutet, und auch sein Rückensegel, das bis dahin eher rund dargestellt wurde, erhielt eine ganz andere Form. Zudem wurde festgestellt, dass Spinosaurus überraschend dickwandige Knochen hatte, die so gar nicht zur "Leichtbauweise" der anderen Dinosaurier zu passen schienen. Nizar Ibrahim vermutete, dass dieser Dinosaurier sich häufig im Wasser aufhielt und eine semi-aquatische Lebensweise bevorzugte (vgl. Nachricht vom Sep. 2014).

Die Vorstellung eines im Wasser lebenden Dinosauriers war zu diesem Zeitpunkt so revolutionär − galten sie doch bis dahin als reine Landlebewesen und man hatte sich quasi gerade erst daran gewöhnen müssen, dass sie auch die Luft in Form der Vögel für sich erobert hatten −, dass diese Theorie auf großen Widerstand traf. Es wurde akzeptiert, dass es Dinosaurier gab, die ähnlich wie Grizzlybären am Ufer standen und nach Fischen schnappten, aber ein sich im Wasser bewegender und nach Beute schwimmender Dinosaurier war dann doch für viele Paläontologen des Guten zuviel. Es gab sogar Stimmen, die rundweg bezweifelten, dass die gefundenen Fossilien zu einem Spinosaurus gehörten und andere, die nahelegten, dass Spinosaurus mit seinem hohen Segel im Wasser unweigerlich umkippen musste.

Um weitere Belege für seine These zu finden, begann Nizar Ibrahim mit einem Team im Jahr 2018 nach weiteren Fossilien an der Lagerstätte in Marokko zu suchen − und wurde fündig: Ein Schwanzwirbel nach dem anderen wurde freigelegt − keiner war doppelt vorhanden − es handelte sich also höchstwahrscheinlich um die Schwanzwirbel eines einzigen Individuums. Zudem wurden weitere Fußknochen gefunden.

Nach Präparation der mehr als 30 gefundenen Schwanzwirbel (rund 80 Prozent des Schwanzes) ergibt sich nun ein erstaunliches Bild: Aus vielen Wirbeln ragen zarte, rund 60 Zentimeter lange Streben heraus, die dem Schwanz das Profil eines Ruders verleihen. Anders als bei den meisten anderen Theropoden, deren V-förmige Knochen an der Unterseite der Schwanzwirbel ("Chevrons") zur Schwanzspitze immer kürzer werden, bleiben sie beim Spinosaurus bis in die Nähe der Schwanzspitze lang.

Die vorderen Schwanzwirbel greifen so ineinander, dass sie nur eine seitliche Bewegung zulassen, die hinteren Schwanzwirbel lassen hingegen auf eine deutlich erhöhte Beweglichkeit schließen. Es ist zu vermuten, dass Spinosaurus seinen Schwanz quasi als Motor einsetzte, mit dem er sich durch das Wasser schob. Entsprechende Modellversuche im Strömungskanal unterstützen diese Annahme und zeigen, dass der Schwanz ähnlich gut funktionierte wie der Schwanz eines Krokodils oder eines im Wasser lebenden Molchs. Zudem scheint der Aufbau des Schwanzes dem Spinosaurus noch zusätzliche Stabilität verliehen zu haben, so dass ein Umkippen im Wasser (wie von einigen Forschern zuvor vermutet) eher unwahrscheinlich war.

Somit fühlt sich Nizar Ibrahim in seiner Theorie des schwimmenden Spinosaurus bestätigt und kommentiert: "Das war im Grunde ein Dinosaurier, der versuchte, einen Fischschwanz zu bauen.", und Samir Zouhri, Paläontologe an der Université Hassan II. in Casablanca (Marokko) ergänzt: "Dieser Schweif ist eindeutig. Dieser Dinosaurier schwamm."

Thomas Holtz, ein Wirbeltierpaläontologe an der University of Maryland in College Park, führt aus, dass auch bei anderen Tiergruppen nicht immer nur eine Lebensweise vorherrscht: "Wir betrachten Säugetiere als ein terrestrische Gruppe, aber wir haben Wale und Fledermäuse."

Insofern: Warum soll es nicht auch unter den Dinosauriern Exemplare gegeben haben, die ins Wasser zurückgekehrt sind?

(Übrigens Fun Fact:
In der englischsprachigen Ausgabe von National Geographic steht, dass das Team beim Finden der Schwanzwirbel so begeistert war, dass es mit ihren Steinhämmern musikalische Rhythmen trommelte und dabei schmetterte: "It’s another caudal!" (in Anlehnung an den Song von Europe: "A Final Countdown").)



Eine Animation des tauchenden Spinosaurus kann man übrigens auf der Seite von National Geographic finden: Spinosaurus-Animation.



weitere Informationen unter:

  • Wissenschaft.de:
    Promi-Dino mit Schwimm-Schwanz
  • National Geographic:
    Exklusiv − Spinosaurus schreibt Geschichte: Der erste schwimmende Dinosaurier der Welt
  • Spektrum.de:
    Der Dino, der im Schwimmen jagte
  • Phys.org (engl.):
    New fossils rewrite the story of dinosaurs and change the appearance of Spinosaurus
  • ScienceNews (engl.):
    Spinosaurus fossil tail suggests dinosaurs were swimmers after all
  • Smithsonian Magazine (engl.):
    Groundbreaking Fossil Suggests Spinosaurus Is First Known Swimming Dinosaur
  • National Geographic (engl.):
    Bizarre Spinosaurus makes history as first known swimming dinosaur



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